Wikipedia inside

Günter Schuler hat ein Buch über die Wikipedia geschrieben, das nicht nur ausführlich über die rechte Szene informiert, die versucht, die Enzyklopädie als Plattform zu nutzen, sondern auch nüchtern zeigt, wie das möglich sein kann.

Das Stichwort lautet Etikette oder im Jargon Netiquette:

Als Verhaltensvorschrift wird in einer der Usenet-Netiquette nachempfundenen "Wikiquette" von Mitarbeitern gefordert, ihre Mitautoren zu respektieren und niemanden in Diskussionen zu beleidigen oder persönlich anzugreifen.

Ausführlicher auf der Seite Wikiquette:

Hinter jedem Beitrag zur Wikipedia - ob gut oder schlecht - steht ein Mensch. Dies zu bejahen ist einfacher, als sein Handeln an dieser Maxime auszurichten. Dabei ist gerade dies in einem Gemeinschaftsprojekt von essentieller Bedeutung. Beiträge haben Autoren, diese sind verletzt, wenn sich jemand in allzu grobem Ton über den Inhalt ihrer Texte oder Diskussionsbeiträge äßert. Zudem wird die Diskussion dadurch von einer Sach- auf eine Persönlichkeitsebene verlagert. Dadurch entsteht Streit - was nicht im Sinne des gemeinsamen Projektes ist.

Wir können über alles endlos diskutieren, schließlich sind wir alle Menschen. Schuler zu dieser unpolitischen, vermeintlich rein sachlichen, in Wirklichkeit aber technizistischen Haltung, die an Inhalten nicht interessiert ist:

Nach meiner Beobachtung haben sich die führenden Wikipedianer eine seltsame Ideologie zu eigen gemacht: daß man sozusagen über den Dingen steht. Das gilt dann leider auch für Völkermord, Rassismus oder ähnliches. Dieser sogenannte neutrale Standpunkt bietet Rechten jeglicher Couleur natürlich eine erstklassige Einfallspforte. Verschärfend hinzu kommen die berüchtigten Höflichkeitsetiketten von Wikipedia - du darfst auch gegen offensichtlich Rechte niemals persönlich werden oder auch nur etwas deutlicher. Seit einem Jahr hat die Handhabung dieser Etikette-Regeln zu einem Arbeitsklima geführt, das jeglich ernsthafte Diskussion unmöglich macht. (Quelle: Konkret 11/2007)

Nebenbei: Wie geht eigentlich die positivistische Neutralitätsverpflichtung mit dem humanistischen Pathos (wir sind alle Menschen) zusammen? Doch nur so: was der Mensch sein soll, das ist uns egal.

(Diese unpolitische Haltung unterscheidet die Wikipedia von Diderots "Encyclopédie, ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers", die mehr sein wollte als ein "Nachschlagewerk, das alle Gebiete menschlichen Wissens strukturiert und umfassend darstellt", wie es im Artikel "Enzyklopädie" der Wikipedia ideologisch heißt. In Enzyklopädie steckt das griechische Wort "paideí­a", doch auch der Sinn von Bildung wird im Artikel "Enzyklopädie" neutralisiert und als "universale Bildung" definiert.)

Ein weiteres Interview mit Günter Schuler kann man in der Zeit lesen.

Quelle: Günter Schuler: Wikipedia inside. Unrast Verlag, Münster 2007.

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