Wikileaks - Kants Idee der Publizität

Hat Immanuel Kant von Wikileaks geträumt, fragt sich Julian Nida-Rümelin in der ZEIT. Der Philosoph hätte radikale Publizität für eine Bedingung des Friedens gehalten.

Der Kern des von der Affäre um Wikileaks sichtbar gemachten Problems, ließe sich deswegen mit Immanuel Kant Spätschrift Zum Ewigen Frieden (1795) freilegen.

Diese Bedingung der Publizität stellt das Kernstück von Kants demokratischem Frieden dar: Nur wenn Ziele und Praxis der Regierungen in der internationalen Politik transparent und öffentlich sind, sichert die demokratische Staatsform den Frieden zwischen Republiken, unabhängig von ihren jeweiligen Interessenlagen.

Denn weder wirtschaftliche Beziehungen noch gemeinsame Wertvorstellungen oder kulturelle Nähe sind verlässliche Bedingungen für den Frieden.

Umso erstaunlicher ist, dass es bislang noch nie einen Krieg zwischen zwei Demokratien gegeben hat. Da die Anzahl der Demokratien in den letzten Jahrzehnten gestiegen ist, aber auch die Zahl der Kriege, ist dieses Ergebnis eigentlich eine Sensation: Die Hypothese, dass Demokratien ihre Konflikte ohne Gewalt austragen, muss als empirisch gut bestätigt gelten.

Es sei deswegen, so Nida-Rümelin, an der Zeit, die Außenpolitik demokratischer Staaten an den Prinzipien der Klarheit und Wahrheit zu orientieren. Denn internationale Beziehungen in Demokratien müssen öffentlich, oder, wie Kant schreibt, dem (Rechts-)Prinzip der Publizität unterworfen sein.

Es gebe keine geheimen Nebenabsprachen zu internationalen Verträgen, alles sei für alle Staatsbürger jederzeit transparent und kontrollierbar, die Regierenden vermieden jede Doppel­züngigkeit und verzichteten auf Geheimstrategien.

Fragt sich, ob das alles so stimmt: spricht Kant eigentlich von Demokratie, begrenzt er nicht die Idee der Publizität sehr genau aufs öffentliche Recht und ließe sich nicht mit Kant die paranoide Idee der Transparenz kritisieren? Gibt es nicht bei Kant eine große Reserve des Privaten? Und: wie wird Kant am Ende damit fertig, dass auch durch Publizität, Offenheit, die Aufgabe des Worthaltens nicht gelöst, noch nicht einmal begonnen ist?

http://www.zeit.de/2010/51/Wikileaks?page=all

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