Unser Anspruch auf (Natur-)Schönheit

Der Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht verteidigt den Anspruch auf (Natur-)Schönheit als existentiellen Wert vor dem totalisierenden Übergriff ökologischer Rationalität. Ohne ästhetische Erfahrung, so ließe sich seine Beobachtung pointieren, verliert rationale Praxis ihr Motiv.

Es hätten sich, stellt Gumbrecht fest, "Perspektiven und Kriterien genuin ästhetischer Wertschätzung in der grünen Bewegung noch kaum etabliert".

Man kann das fast täglich beobachten: das stolze Wissen um ökologische Probleme verdrängt bei den neuen Puritanern den ästhetischen Genuss. Der moralistische Terror der Asketen macht sich dann breit. Die ästhetische Diskussion wird mit dem Argument negativer apokalyptischer Dringlichkeit schlicht und einfach versperrt: jetzt müsse gehandelt werden, sonst sei die (Klima-)Katastrophe nicht zu verhindern und die Welt verloren.

Der Genuss jener Gegenstände, Wahrnehmungen und Erfahrungen selbst aber, um deren Erhalt (...) es doch eigentlich gehen soll, wird fast ganz verdrängt im Alltag der ökologisch beseelten Zeitgenossen.

Das asketische Motiv aller, die die Welt um der kommenden Generationen willen retten wollen, verbietet aktuellen Genuss. Wir haben es dann nicht mit einem politischen, sondern mit einem religiösen Bewusstsein zu tun: erst der erlösten Menschheit soll auch das Bild der Natur in Fülle und Schönheit zufallen. Bis dahin steht männliche Entsagung auf der Agenda ökologischer Praxis.

die Freude an Farben, Formen und anderen Bezugspunkten sinnlicher Wahrnehmung ist dort ganz absorbiert und neutralisiert von Gesten, in denen stolz und etwas rechthaberisch das Wissen um ökologische Probleme zum Vorschein kommt.

Wo ökologisch noch im Rahmen des Ästhetischen argumentiert wird, herrschen zunächst und zumeist die Stereotypien funktionalistischen Denkens vor, die Gumbrecht am Beispiel der Windräder zeigt:

Dass Windräder eher die Schönheit der deutschen Mittelgebirge und Ebenen hervorheben, behaupteten sie. Dabei war ein Argument aus dem Repertoire des im frühen zwanzigsten Jahrhundert so programmatischen und populären Funktionalismus unterstellt, nach dem Schönheit notwendig aus der weitestgehenden Anpassung von Gegenständen an die ihnen zugewiesenen Funktionen erwachsen müsse. (...) Doch selbst wenn er auf Artfefakte, auf von Menschen gestaltete Gegenstände also, ausnahmslos zutreffen sollte, erreicht seine Logik eine Grenze, sobald diese Gegenstände mit Naturschönheit in Berührung kommen. So funktionalistisch perfekt Windräder auch aussehen mögen, sie nehmen Landschaften den Zauber ihrer Unberührtheit.

Auch wenn Naturschönheit sich wahrscheinlich nicht auf den Zauber der Unberührtheit reduzieren lässt, geht es nicht vor allem darum, den Eigensinn ästhetischer Erfahrung zu retten, sondern diese in den Dienst gelungener Praxis zu stellen. Denn ohne eine genuin ästhetische Perspektive, wird nicht nur das Schöne verdrängt, sondern (politisch-)ökologische Praxis verliert auch ihr Motiv. Ökologische Rationalität dreht sich dann allein noch blind und orientierungslos um sich selbst und verliert die Grundlage lebenswerter Existenz aus dem Blick. Wir brauchen, heißt das, die Erfahrung des Naturschönen, um zu wissen, warum und zu welchem Zwecke wir jetzt handeln sollen. Das wissen die lokalen Initiativen, die Alleen und Moore retten wollen, nicht weil diese Landschaften nützlich, sondern weil sie schön sind. Sie melden deswegen ihren Anspruch auf (Natur-)Schönheit an.

Gumbrecht stellt fest, dass die "Werte ökologischer Ästhetik schon seit einem guten Jahrhundert" existierten. Mit Heideggers paradoxer Umkehrung des Verhältnisses zwischen Bauen und Wohnen beschreibt er die Architektur, die mit den Namen Frank Lloyd Wright und Peter Zumthor verbunden ist:

Ihre Gebäude bringen Landschaft hervor, weil sie sich gleichsam an die angetroffenen Strukturen der Natur anschmiegen und versuchen, ein Teil von ihnen zu werden – genauer ein Teil, der zwischen Menschen und ihrer Umwelt vermittelt. Solche Architektur finden wir nicht deshalb schön, weil sie der einen oder anderen formalen Mode entspricht sondern weil sie die Erfüllung einer kosmologischen Sehnsucht in Aussicht stellt. Sie hält die Hoffnung wach, dass es so etwas geben könnte wie ein "richtiges," ein kosmologisch passendes Verhältnis zu unserer physischen Umwelt.

http://www.blogs.faz.net/digital/2014/01/31/aesthetik-der-gruenen-bewegung-474/

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