Nietzsche beschreibt in der Genealogie der Moral den seelischen Haushalt des Gläubigers ...
Namentlich aber konnte der Gläubiger dem Leibe des Schuldners alle Arten Schmach und Folter antun, zum Beispiel so viel davon herunterschneiden, als der Größe der Schuld angemessen schien - und es gab frühzeitig und überall von diesem Gesichtspunkte aus genaue, zum Teil entsetzlich ins kleine und kleinste gehende Abschätzungen, zurecht bestehende Abschätzungen der einzelnen Glieder und Körperstellen. Ich nehme es bereits als Fortschritt, als Beweis freierer, größer rechnender, römischerer Rechtsauffassung, wenn die Zwölftafel-Gesetzgebung Roms dekretierte, es sei gleichgültig, wieviel oder wie wenig die Gläubiger in einem solchen Falle herunterschnitten »si plus minusve secuerunt, ne fraude esto«. Machen wir uns die Logik dieser ganzen Ausgleichsform klar: sie ist fremdartig genug. Die Äquivalenz ist damit gegeben, daß an Stelle eines gegen den Schaden direkt aufkommenden Vorteils (also an Stelle eines Ausgleichs in Geld, Land, Besitz irgendwelcher Art) dem Gläubiger eine Art Wohlgefühl als Rückzahlung und Ausgleich zugestanden wird - das Wohlgefühl, seine Macht an einem Machtlosen unbedenklich auslassen zu dürfen, die Wollust »de faire le mal pour le plaisir de le faire«, der Genß in der Vergewaltigung: als welcher Genß um so höher geschätzt wird, je tiefer und niedriger der Gläubiger in der Ordnung der Gesellschaft steht, und leicht ihm als köstlichster Bissen, ja als Vorgeschmack eines höheren Rangs erscheinen kann. Vermittelst der »Strafe« am Schuldner nimmt der Gläubiger an einem Herren-Rechte teil: endlich kommt auch er einmal zu dem erhebenden Gefühle, ein Wesen als ein »Unter-sich« verachten und mißhandeln zu dürfen - oder wenigstens, im Falle die eigentliche Strafgewalt, der Strafvollzug schon an die »Obrigkeit« übergegangen ist, es verachtet und mißhandelt zu sehen. Der Ausgleich besteht also in einem Anweis und Anrecht auf Grausamkeit. (Nietzsche, Genealogie der Moral)
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