Nach Wriezen - so heißt ein Dokumentarfilm, der drei straffällig gewordenen Jugendliche nach ihrer Entlassung aus der JVA Wriezen (Brandenburg) über drei Jahre begleitet. Unter ihnen Marcel, der für den Mord am 16-jährigen Marinus aus Potzlow verurteilt wurde.
Marcel S. war 2003 wegen Mordes und gefährlicher Körperverletzung zu achteinhalb Jahren Jugendhaft verurteilt worden. Er hatte als Haupttäter mit seinem Bruder und einem weiteren Komplizen 2002 den 16-jährigen Schüler Marinus Schöberl in Potzlow gequält und getötet. Danach versenkten die drei Rechtsextremisten die Leiche in einer Jauchegrube. (Tagesspiegel, 10. August 2008)
Gegen Ende des Film werden die drei jungen Männer zu Vätern. Bei dieser Gelegenheit nimmt auch Marcel (zum ersten Mal im gesamten Film) kein Blatt vor den Mund und phantasiert ungehemmt darüber, wie er sein Kind auch mit Gewalt gegen Missbrauch schützen und die Täter bestrafen würde. Die Vorstellung dient offensichtlich dazu, der in ihm unterdrückten Gewalt freien Lauf zu lassen. Sie lässt sich genau so wenig verbergen wie auf seiner Haut die kaschierten Hakenkreuze. Seine rechtsextremen Kumpels, nur so viel erfährt man ausdrücklich im Film, gelten ihm als Kerle, die sich nicht unterkriegen lassen.
Das passt genau zu einer neuen Broschüre der Amadeu-Antonio-Stiftung, in der es um die Instrumentalisierung des Themas sexueller Missbrauch durch Neonazis geht. Diese nutzen das Thema Kindesmissbrauch, um populistische Forderungen in der Mitte der Gesellschaft zu platzieren. Sie schüren Ängste und präsentieren drastische Forderungen wie die "Todesstrafe für Kindesschänder" als politische Alternative. (Berliner Zeitung, 13. Dezember 2013)
Sie könnten das nicht, wenn die so genannte "Mitte der Gesellschaft" für das Thema nicht empfänglich und die (Gewalt-)Phantasien nicht anschlussfähig wären.
In der an die Vorführung des Films anschließenden Diskussion im Filmpalast Oranienburg hat der Leiter der JVA Wriezen darüber berichtet, dass im Strafvollzug keine Programme gegen rechte Gesinnung, wohl aber solche gegen Gewalt durchgeführt würden. Gewalt soll im alltäglichen Lebensvollzug keine Rolle spielen. Aber haben diese Therapien vielleicht den Effekt, dass die verbotene (Gewalt-)Lust auf Themen und Bilder wie den "Kindesmissbrauch" verschoben wird, in denen sie öffentlich wieder breitere Anerkennung finden kann? Denn auch die Mitte der Gesellschaft hat ihre Schlupflöcher, in denen sie ihre Gewaltphantasien mehr oder weniger frei auslebt.
2 Kommentare
M. HoHnecker 12/30/13 8:31am
#212 und noch ein Link vom altbacken mütterlichen Rand der Gesellschaft http://www.andreas-unterberger.at/2013/12/birgit-kelle-die-frauen-die-muetter-und-die-maenner#sthash.4K1wRRC2.7Vt3TCpI.dpbs
M. HoHnecker 12/30/13 5:35am
#211 cc "Verschiebung" http://kreidfeuer.wordpress.com/2013/12/29/waerme-ins-leben-bringen/
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