Hin zur Volksgemeinschaft - die Abendspaziergänge in Oranienburg

Auf die Idee, mit den nach dem Vorbild der PEGIDA marschierenden Abendspaziergängern in Oranienburg ins Gespräch zu kommen, kann man nur kommen, wenn deren politischer Aktivismus nicht Ernst genommen wird.

So hat das Evangelische Bildungswerk jetzt Oranienburgs Bürgerinnen und Bürger eingeladen

sich über Fragen im Zusammenhang von Flucht und Migration in unserer Stadt und den Ortsteilen auszutauschen.

Ausdrücklich wird diese Einladung an die Abendspaziergänger in Oranienburg adressiert, ja die stereotyp vorgebrachte Formulierung der Sorgen und Bedenken gar als Anlass genannt.

Wir wollen dabei ausdrücklich das Anliegen, das bei den "Abendspaziergängen" vorgebracht wurde - miteinander ins Gespräch zu kommen - aufnehmen.

Die Demonstranten haben allerdings die scheinbar offene Frage, "wie wir uns die Zukunft vorstellen und wie jeder Einzelne dazu beitragen kann, daraus Wirklichkeit werden zu lassen", bereits für sich entschieden. Sie haben keine Sorgen und Bedenken, sondern nur Lust an der zur Schau gestellten Drohung gegen Flüchtlinge, es geht ihnen darum, ein Klima der Angst zu produzieren.

Die Abendspaziergänge werden von bekannten Nazis (mit-)organisiert, die Reden mobilisieren ganz offen völkischen Geist. Wir haben es in Oranienburg mit Faschisten zu tun, die politisch bekämpft und gesellschaftlich isoliert werden müssen. Will man mit ihnen "ins Gespräch" kommen, kann man das nur, wenn man die Idee der Volksgemeinschaft für eine diskussionswürdige Perspektive hält.

Weil diese aber keineswegs originell ist, sondern vielmehr dem faschistischen Mainstram folgt, der von der Dresdener PEGIDA so populär gemacht wurde, lohnen keine neuen Gedanken. Deswegen hier die (von mir um der Verständlichkeit willen) gekürzte Version einer sehr gelungenen Exposition des faschistischen Geistes heute.

Faschismus und Volksgemeinschaft (heute)

Ziel und Mittelpunkt faschistischer Bestrebungen ist immer ein reaktionär-utopisches Vergemeinschaftungsmodell (...) in Gestalt der mythischen (...) Idealisierung eines als organisch-naturwüchsig (...) vorgestellten fiktiven Kollektivs: das "Volk" und die "Volksgemeinschaft".

Dieser mythische Volksbegriff impliziert eine doppelte identitätsbildende Feindbildbestimmung:

[1.] Zum einen die Abgrenzung nach außen, gegen andere "Völker", die mit dem eigenen "Volk" als nicht dazugehörige äußere Feinde in einem Konkurrenzkampf stehen. (...)

[2.] Zum anderen eine zwiefache Abgrenzung nach innen: (...)

[2.1] Nach oben gegen "die Herrschenden", die "Etablierten", die "das Volk" unterdrücken, und

[2.2] nach unten gegen vermeintlich nicht integrationswillige oder "von Natur aus" integrationsunfähige Elemente, die die "Volksgemeinschaft" belasten und ihre Homogenität gefährden.

Die "Volksgemeinschaft" konstituiert sich also über die Ausgrenzung vermeintlich "volksfremder" oder "volksfeindlicher" Elemente von oben und unten, die nicht dazu gehören: einerseits die herrschenden Eliten teils als vom "Volk" losgelöste, egoistische Interessen verfolgende, "entwurzelte" Kaste, teils als fremde, international organisierte Gruppe (wie die "internationale Hochfinanz"), andererseits die Unangepassten und Asozialen teils als degenerierter, "entarteter" Bodensatz der Gesellschaft (z.B. sogenannte "Sozialschmarotzer" oder auch sexuelle Minderheiten), teils als von Außen eingedrungene Fremdkörper (z.B. Migranten).

Dieses "völkische" Vergemeinschaftungskonzept manifestiert sich in der Regel folgerichtig in entsprechenden Grundhaltungen wie Nationalismus, Rassismus, Elitenfeindlichkeit / Populismus, Antisemitismus.

Faschismus wird oft fälschlich reduziert auf Diktatur bzw. autoritäre Herrschaft.

Dieser verkürzte Faschismusbegriff blendet die entscheidende Tatsache völlig aus, daß der Faschismus in allen seinen historischen Erscheinungsformen immer mit einem emanzipatorischen, sozialrevolutionären Anspruch aufgetreten ist. (...)

[Aber:] Individuelle Freiheiten oder pluralistische Demokratiekonzepte haben in dieser Vorstellungswelt keinen Platz. Die faschistische "Volksbefreiung" bzw. "Volksherrschaft" ist totalitär, d.h. sie strebt nach einem Ideal von "Demokratie", das sich in einer Einheit von "Volkswille" und Herrschaft realisieren soll, also letztlich in der totalitären Identität von Staat und Gesellschaft.

Der Faschismus geht über den autoritären (aber eben nicht totalitären) Nationalismus hinaus, indem er ihn mit einem sozialrevolutionären Anspruch verbindet. Sein Emanzipationskonzept zielt aber lediglich auf die Befreiung des "völkischen" Kollektivs von "fremden" Einflüssen (...) und hat mit (...) emanzipatorischen Bestrebungen nichts zu tun, die (...) von einem universalistischen Emanzipationsbegriff ausgehen, für den gesellschaftliche und individuelle Befreiung nicht voneinander zu trennen sind und der über jede völkische oder nationale Abgrenzung hinausgeht.

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