Die Frage, ob man zu einem anderen sagen dürfe »Ich habe Angst«, hat Hans Blumenberg damit beschieden, dass das »unzulässig, ja unsittlich« sei.
Der Grund: Es gibt auf dieses Eingeständnis keine Erwiderung, keine Einstellung, keine Chance des Trostes, der Hilfe. Was es erzeugt, ist die absolute Verlegenheit. Indem etwas gefordert zu sein scheint, wird zugleich alles verboten. Die Zumutung ist die des Unmöglichen: zu antworten, es bestehe doch kein Grund: Darf man dem anderen das Wort entziehen, indem man ihm vortäuscht, sich zu öffnen?
»Absolute Verlegenheit«, das ist, was die besorgten Bürger rhetorisch provozieren, wenn sie im Zusammenhang von Flüchtlingsunterkünften und anderen aus dem Recht auf Asyl entstehenden Zumutungen ihre »Ängste« meinen artikulieren zu müssen. Den Adressaten des Bekenntnisses soll durch die zur Schau gestellte Öffnung der eigenen Befindlichkeit das Wort entzogen werden. Im politischen Raum wird das Wort erstickt.
Denn noch so sehr kann entkräftet werden, dass für das »vor« der Angst gar kein Grund besteht. Die Behauptung der eigenen Angst will gar keine Argumente und Sachverhalte zur Kenntnis nehmen, sondern den anderen zum Schweigen bringen. Denn mit dem Satz »Ich habe Angst« wird jede Entgegnung, jeder Fortschritt in der Debatte a priori in's Unrecht gesetzt. Wir haben es beim ängstlichen Gerede mit einer politisch-rhetorischen Strategie der Selbstimmunisierung zu tun.
Die Tatsache der »Angst« überwölbt als Resonanzraum jede Konkretion und verhindert jede Diskussion. Unternimmt man den Versuch aufzuklären, so wird dem Argument stets damit begegnet werden, die Ängste ja gar nicht ernst zu nehmen. Wer Angst hat, so wird unterstellt, kann gar nicht irren. Angst erschließt die Wirklichkeit mit einem Absolutheitsanspruch, der nicht in Frage gestellt werden darf.
Selbstgefälligkeit ist die affektive Rückseite der schamlos in aller Öffentlichkeit zur Schau gestellten Ängste.
So wollen die besorgten Bürger auch gar nicht, dass ihnen Ängste genommen werden. Sie benötigen psychologisch die Behauptung ihrer Ängste als Verstärker der eigenen Identität, die deswegen leer und abstrakt bleibt, weil sie sich von nichts berühren lässt, was das eigene Selbst mit sich in Widerspruch bringen könnte. Deswegen läuft auch jeder Streit in's Leere, hat die Angst erst einmal das Diktat begonnen.
Ich habe Angst, das heißt in Wirklichkeit: ich will/muss so bleiben, wie ich bin ... und darf mit (Ich-)Fremdem nicht in Berührung kommen. Angst ist die psychische Form des völkischen Subjekts. Sie dreht sich um sich selbst, um bei sich selbst zu bleiben. Sie wird zur seelischen Figur von Erfahrungslosigkeit. Und sie wird schließlich nicht anders können, als um ihrer Selbsterhaltung willen all denen Angst zu machen, die die abstrakte Konsistenz des eigenen aus Angstzwängen gebildeten Ichs bedrohen.
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