Erfahrung und Armut

Benjamin hat - in durchaus franziskanischer Tradition - Armut als Abschied von humanistischen Illusionen verstanden, vom Bild der Kultur.

So wie die franziskanischen Mönche sich um der Erlösung willen der Regel ihres Ordens unterwerfen und in Armut leben, sieht Benjamin in der "Generation, die 1914-1918 eine der ungeheuersten Erfahrungen der Weltgeschichte gemacht hat", "Männer", die "das Neue zu ihrer Sache gemacht (...) haben", um die "Menschlichkeit" auf gute - und das heißt: barbarische Art - zu retten. Die Zauberformel lautet: "Wirf weg, damit Du gewinnest".

Arm sind wir geworden. Ein Stück des Menschheitserbes nach dem anderen haben wir dahingegeben, oft um ein Hundertstel des Wertes im Leihhaus hinterlegen müssen, um die kleine Münze des »Aktuellen« dafür vorgestreckt zu bekommen. In der Tür steht die Wirtschaftskrise, hinter ihr ein Schatten, der kommende Krieg. Festhalten ist heut Sache der wenigen Mächtigen geworden, die weiß Gott nicht menschlicher sind als die vielen; meist barbarischer, aber nicht auf die gute Art. Die anderen aber haben sich einzurichten, neu und mit Wenigem. Sie halten es mit den Männern, die das von Grund auf Neue zu ihrer Sache gemacht und es auf Einsicht und Verzicht begründet haben. In deren Bauten, Bildern und Geschichten bereitet die Menschheit sich darauf vor, die Kultur, wenn es sein muß, zu überleben. Und was die Hauptsache ist, sie tut es lachend. Vielleicht klingt dieses Lachen hie und da barbarisch. Gut. Mag doch der Einzelne bisweilen ein wenig Menschlichkeit an jene Masse abgeben, die sie eines Tages ihm mit Zins und Zinseszinsen wiedergibt.

Ist das dialektische Vertrauen in die Masse nicht mehr gegeben, bleibt das Lachen im Halse stecken.

Nachsatz

"Männer", die "das Neue zu ihrer Sache gemacht (...) haben", schreibt Benjamin. Wie bei den Franziskanern ist Armut die Lebensregel von Männerbünden.

http://www.textlog.de/benjamin-erfahrung-armut.html

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