Nur weil ich mich für mehr und bessere lokale - frühzeitige und strukturierte - Bürgerbeteiligung einsetze, muss ich noch lange kein Befürworter direkter Demokratie sein.
Robert Menasse erklärt, warum. Es gibt
ein demokratiepolitisches Problem, das sich durch alle Diskussionen über alle Demokratiemodelle seit der Antike zieht, von Platon bis Kelsen und ewig weiter: Die Idee der Demokratie setzt abstrakt etwas voraus, das es konkret nicht gibt: den Bürger, der einerseits seine Interessen vertreten sehen will, andererseits eine Vorstellung von Gemeinwohl hat. (...) In der Praxis zeigt das Stimmverhalten der Menschen, vor allem in der Schweiz, dass die Mehrzahl der Menschen völlig gegenteilig abstimmt: Sie stimmen gegen ihre Interessen und gleichzeitig gegen Gemeinwohl. Zum Beispiel die Abstimmung über Minarette: Ein aufgeklärter Bürger ist für Religionsfreiheit. Die Schweizer stimmten dagegen und damit für eine gesellschaftliche Spaltung, also gegen Gemeinwohl und gegen Menschenrecht. Kelsen hatte recht: Der aufgeklärte Citoyen ist nie in der Mehrheit, und das muss jedes Demokratiemodell berücksichtigen. (...) Wenn es in Österreich oder Ungarn direkte Demokratie gäbe, hätte man dort nicht nur ein Minarettverbot, sondern gleich auch die Todesstrafe. (...) Ich habe den Verdacht, dass die Schweizer das glauben. Aber ich halte ein Demokratiemodell für unausgegoren und in dieser Form für überholt, in dem es möglich ist, mit einfachen Mehrheitsentscheidungen, ohne Sicherungen zum Schutz von Minderheiten, Gesetze durchzusetzen, die dann noch dazu Verfassungsrang haben. Die repräsentative Demokratie ist schon ein zivilisatorischer Fortschritt. Der nächste Entwicklungsschritt wäre, sie aus den Fesseln des Nationalstaats zu befreien, dazu müsste das Europäische Parlament aufgewertet und der Europäische Rat abgeschafft werden.
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