Bürgerbeteiligung í  la Bertelsmann - Regulierung statt Demokratie

Wie sich die Bertelsmannstiftung die Bürgerbeteiligung vorstellt, zeigt Hermann Werle in einem Artikel für die Berliner MieterGemeinschaft. Es geht um den neoliberal in Form gebrachten und auf Effizienz getrimmten Staat.

Die Demokratie, schreibt der Autor, sitzt am Katzentisch.

Anderen Formen der Neutralisierung von Widerstandsenergien widmen sich verschiedene Veröffentlichungen der (inoffiziellen) Regierungsberater der Bertelsmann-Stiftung. Bezug nehmend auf die Aushöhlung der sozialstaatlichen Sicherungssysteme im Rahmen der Agenda 2010 wird in der Broschüre „Die Kunst des Reformierens“ festgehalten, dass die Regierung Schröder in den Jahren 2002/2003 den „konsensorientierten Korporatismus“ – mit den Gewerkschaften als wichtigstem Partner – aufgekündigt hätte. Mit den eingesetzten (Hartz-, Rürup-)Kommissionen sei eine „neue Form der Partizipation von Interessengruppen, Experten und Vertretern anderer gesellschaftlicher Gruppen“ ermöglicht worden. Festzuhalten sei nach Meinung der Bertelsmann-Stiftung also, dass sich „ein geschickter Partizipationsstil“ dadurch auszeichne, dass er versuche, durch „flexible und neue Formen der Inklusion das Widerstandspotenzial großer Interessengruppen (gemeint sind die Gewerkschaften) aufzubrechen“. Dementsprechend könnten Reformen auch so konzipiert werden, „dass sie manche Interessengruppen begünstigen und andere benachteiligen, um so eine potenziell geschlossene Abwehrfront zu verhindern“. „Teile und herrsche“ ist zwar nichts Neues, wird aber als „strategisch gehandhabte Inklusion und Exklusion bestimmter Akteure“ und als „selektiver Partizipationsstil“ definiert und ist somit ein wichtiger Bestandteil der bertelsmännischen „Kunst des Reformierens“.

Grundlage für eine möglichst widerstandsfreie Durchsetzung von Reformen oder Großprojekten sind strategische Konzepte der Kommunikation. Diese zielen darauf ab, unkontrollierten Protest von der Straße an runde Tische, Bürger- oder Dialogforen zu verlagern. „Organisierte Dialoge als Strategie“ heißt die entsprechende Publikation der Bertelsmann-Stiftung. Der Autor, Dr. Christopher Gohl vom Institut für Organisationskommunikation (IFOK), sieht in „Beteiligungsverfahren im Rahmen strategischer Steuerung“ ein Instrument, mit dem Menschen für ein bestimmtes Ziel aktiviert werden und „politische Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse“ gesteuert werden könnten. Etwas konkreter umreißt das IFOK das Problem: „Aus Sicht der Investoren sind die Proteste gegen geplante Projekte (Bundesstraßen, Industrieanlagen, Kraftwerke oder Landebahnen) nur schwer verständlich. (...) Ganz anders der Standpunkt der betroffenen Anlieger: Sie erleben eine tiefgreifende Veränderung ihres Umfeldes.“ So könne es zur Eskalation und zu Gerichtsprozessen kommen und selbst wenn am Ende doch gebaut werden könne, „verzögert sich das Projekt erheblich und wird meist teurer als geplant. (...) In einem moderierten Dialog lassen sich neue Wege der Zusammenarbeit zwischen den vermeintlichen Kontrahenten ausloten, sinnvolle Kompromisse finden und tragfähige Lösungen entwickeln.“ „Organisierte Dialoge“ folgen einzig dem Zweck, ein (Bau-)Projekt durchzusetzen und Zeit und Kosten zu sparen.

Und das heißt dann:

Die Bürgerbeteiligung bedeutet also kein Mehr an Demokratie, sondern ein Weniger an Widerstand.

Kein Wunder, dass, wenn es um Bürokratieabbau, Verwaltungsreform, Bürgerbeteiligung geht, von Demokratie erst gar nicht die Rede ist, sonder nur von Beteiligungsverfahren zur Verbesserung von Regulierung und Vollzug.

Das alles (und noch viel mehr) ist bekannt:

Und hier kommt die Stiftung ins Spiel. Mit ihr, einer Art gemeinnützig gestellten Forschungs- und Entwicklungsabteilung, gelingt dem Konzern das Kunststück, im Sinne einer der Zivilgesellschaft gegenüber als verantwortungsbewusster, dem Gemeinwohl verpflichteter Eigentümer zu erscheinen, der ohne Beanstandungen „regelmäßig vom Finanzamt geprüft“ wird, von der AG unabhängig und parteipolitisch neutral sei. (Neue Westfälische vom 6. Januar 2009) Dass es der Bertelsmann Stiftung gelingt, gleichsam als idealer Gesamtdemokrat zu erscheinen, gehört zu den Eigenheiten eines politischen Regimes, in dem es einer Konzernstiftung gelungen ist, das „Politische“ betriebswissenschaftlich zu neutralisieren und damit in einer perfiden Uminterpretation der Artikel 14 und 15 GG („Eigentum verpflichtet“ und die Möglichkeit zur Überführung in „Gemeineigentum“) im Gewand der Stiftung als Sachwalter des „Demokratischen“ schlechthin zu erscheinen und als Dienstleister an der stiftungsseitig inszenierten Vertriebswirtschaftlichung poltisch-staatlicher Prozesse – an Private Public Partnerships und New Public Management – kräftig zu verdienen.

Und man darf annehmen, dass, wenn sich Städte und Gemeiden die Bertelsmannstiftung für Workshops zur Bürgerbeteiligung ins Haus holen, weil ihnen selbst längst nichts mehr zur Sache einfällt, es genau darum geht: um Strategien, den demokratischen Anspruch der Bürger_innen zu begrenzen und das gesamte Leben immer noch stärker durch ökonomische Rationalität zu regulieren.

1 Kommentare

Frischgeld-Teuerzahler 11/30/12 9:09am

#141 in der Praxis meiner technokratisch und nach Uhrzeit abzockenden Ärztin liegt eine Bertelsmann-Zeitschrift aus (Ehrenamt :- ) wie B. sich die neue Gesellschaft vorstellt, siehst du hier: http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/edel-kitas-schatz-wir-kommen-heute-spaeter-11971254.html

Kommentar schreiben

Zur Desorientierung