Gesetzt, es gibt eine Krise der repräsentativen Demokratie und immer mehr Menschen fragen sich: wessen Herrschaft, wessen Interessen werden vertreten ... warum nehmen dann in einer im Berliner Speckgürtel gelegenen Brandenburger Provinzgemeinde mit 8000 Einwohnern nicht einmal 50% der Wähler bei Gelegenheit einer Bürgermeisterwahl ihr Wahlrecht wahr?
Die Bürgermeisterwahl war nötig, weil der Amtsinhaber wegen Korruptionsverdacht zurückgetreten war, der Anlass war also aßergewöhnlich, in der Presse und der aktiven Bürgerschafts ein intensiv diskutiertes Thema. Übersichtlicher als in Birkenwerder kann die Welt nicht sein. Klar war, welche entscheidenden und die Leute tatsächlich auch hier und da im Alltag betreffenden Themen zur Wahl standen. Auch, dass es um Grundsatzfragen des politischen Klimas geht. Aber trotzdem geht kaum die Häfte der Bürger wählen. Der neue Bürgermeister ist mit gerade 28,39 Prozent aller Stimmen legitimiert. (Die Wahlbeteiligung wird jetzt nur deswegen nicht skandalisiert, weil bei der Stichwahl keine der großen Parteien ihre Kandidaten im Rennen hatte.)
Das Faktum der geringen Wahlbeteiligung sogar im lokalen Kontext (46,6 Prozent) spricht gegen die These, dass sich die Menschen nicht repräsentiert sehen und aus Protest schweigen - sieben Kandidaten standen zur Wahl, mit Ausnahme der äßersten Rechten (AfD, NPD) war ein ziemlich breites (bürgerliches) politisches Spektrum vertreten. Die beiden Kandidaten der Stichwahl waren dazu noch parteilos.
Daraus könnte man zwar den Schluss ziehen, dass 50% der Wähler einem Kandidaten der extremen Rechten (für die es vermutlich ein erhebliches Potential gibt) ihre Stimme geben würden oder dass neben dezidiert rechten auch linke Positionen (der Kandidat der LINKEN war ein GRÜNER) vermisst wurden (wie sinnvoll auch immer linke Positionen bei einer Kommunalwahl bezogen werden können).
Aber viel wahrscheinlicher ist: der von rationalen Interessen geleitete Wähler, der politisch aktive mündige Bürger ist in der verwalteten Welt eine historisch antiquierte Figur. Die Krise der Demokratie liegt also weniger in Repräsentationsdefiziten als in der Unmündigkeit des politischen Subjekts.
Nachtrag
Nach den Wahlen in Bremen lauten die Antworten der Demoskopen wie immer:
- 67 Prozent der Nichtwähler sagten auf die Frage, warum sie nicht abgestimmt haben: "Politiker verfolgen doch nur ihre eigenen Interessen."
- 58 Prozent erklärten: "Derzeit vertritt keine Partei meine Interessen."
- 46 Prozent gaben an: "Gehe bewusst nicht zur Wahl, um meine Unzufriedenheit mit der Politik zu zeigen."
Sicher ist allerdings: ohne die vorgelegten Antworten, die ja bereits eine Analyse der Lage verraten, wären die Statements weniger rational ausgefallen. Warum wird nicht einmal gefragt: wussten Sie, dass in Bremen / Birkenwerder am Sonntag gewählt wird?
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