Autoritäre Predigt - die Rhetorik christlicher Fundamentalisten

Leo Löwenthal und Norbert Guterman haben in ihrer Studie Prophets of Deceit (1949) die Figur das Agitators untersucht, die Technik und rhetorischen Tricks der rabble rousers, der offen mit Hitler sympathisierenden amerikanischen Hetzapostel. Die Aktualität dieser Arbeit wie auch der Studien zum autoritären Charakter bewährt sich nicht allein im Blick auf moderne (Nazi-)Propaganda und die Formierung (rechts-)extremistischer Gefolgschaft; sie könnte auch zum Verständnis des christlichen Fundamentalismus beitragen.

Das Buch von Löwenthal/Guterman ist Teil einer Diagnose des Hasses, der auf einen Unterschied der Religion oder der Rasse zurückgeht - mit dem Antisemitismus als Brennpunkt der Untersuchung.

Hass & Hetze artikulieren sich durchaus nicht, wie es gerne heißt, wirr, sondern schlau auskalkuliert. Gerade im Tonfall nüchterner Analyse werden die Objekte des Hasses zugerichtet. Wer, wie unter bibeltreuen Christen üblich, nach Auschwitz mit theologisch gewitzter Attitüde den Juden attestiert, sie seien geistig tot, trägt zur Enthemmung derer bei, die vor Mord nicht zurückschrecken.

Würde man, heißt das, die Judenfeindschaft im fundamentalistischen Christentum genauer analysieren, könnte man an einem Beispiel zeigen, wie der Antisemitismus und mit ihm die sozialpsychologischen Voraussetzungen des modernen totalitären Wahns in der Mitte der Gesellschaft stecken. Wer den Kampf gegen Antisemitismus ernst nimmt, kann deswegen vor den sich bibeltreu gebenden Fundamentalisten die Augen nicht verschließen.

Kalkulierter Unsinn

Schaut man sich die so genannte Bibelarbeit, Publikationen und Auftritte der berufenen Prediger unter den bibeltreuen Christen genauer an und versucht sie (was ein bisschen unzeitgemäß ist) kritisch zu begreifen, drängt sich vor allem die absolute Geistlosigkeit der Inhalte auf, jeder Sachgehalt, sei er historisch oder existenziell, wird aus der Bibel eskamotiert. Kaum zu fassen, wie das von Menschen, die spirituell nicht völlig ausgelaugt sind, ohne Schmerzen ertragen werden kann. Mit dem Genus des Sermo humilis hat das nichts tun. Übrig bleiben spannungslose Zitate, tote Versatzstücke, die beliebig neu montiert werden können. Ziel ist dabei immer nur die Legitimierung von gesellschaftlichen Zucht- und Gewaltformen des 19. Jhs. Kaum eine Maxime, die sich nicht im Handbuch Schwarzer Pädagogik findet. Was als christliches Leben rekonstruiert werden soll, ist vom Klima autoritärer Gesellschaft geprägt. Nur darum geht es, um Gehorsam und Gefolgschaft, und um Hass als Kitt dieser Gemeinschaft. Die ewig gleichen Zitate werden ohne Unterlass wiederholt und dem Leser/Hörer eingebläut, bis er die Botschaft akzeptiert und sich ins Gehörte fügt. Wer das alles liest und zur Kenntnis nehmen will, muss sich durch einen

ganzen Wust von schlau auskalkuliertem Unsinn hindurchwühlen. Starres, klischeehaftes Denken und unablässige Wiederholungen sind nun einmal Mittel der Reklame (...). Sie schleifen die Reaktionsweisen ab, verleihen den Plattheiten eine Art von Selbstverständlichkeit und setzen die Widerstände des kritischen Bewußtseins außer Kraft.

Familienähnlichkeit - drei rhetorische Tricks

Die Familienähnlichkeit des fundamentalistischen Predigers mit dem faschistischen Agitator lässt sich durch drei Merkmale charakterisieren. Die Verdummung läuft mit einem bescheidenen Vorrat an Tricks.

Da ist (1.) die Figur des Agitators, des Predigers, das Klischee des Redners selbst:

Er stellt sich hin als den großen kleinen Mann, der genau ist wie alle anderen und doch ein Genius, ohnmächtig und doch vom Widerschein der Macht verklärt, durchschnittlich und doch ein Halbgott

Genauer lässt sich die Rolle und Attitüde der fundamentalistischen Prediger, Ältesten und Wortführer kaum beschreiben, an deren Lippen die Gemeinden hängen. Allein dem Wort Gottes verpflichtet, zu dessen Empfänger sie sich stilisieren, mischt sich strenge Autorität mit scheinbarer Demut. Die Gemeinde kann sich selbst gleichsetzen mit dem großen kleinen Mann und doch zu ihm aufblicken. Er verkörpert das Ideal, dem man sich freudig unterwirft. (Nur wenn die großen kleinen Männer nicht so traurige Gestalten wären, könnte man von Charisma sprechen.)

Dazu kommt (2.) die streng dualistische Anschauung, die nur Freund und Feind kennt:

die Aufteilung der Welt in Schafe und Böcke, in die Guten, zu denen man selber gehört, und die Bösen, den eigens für solchen Zweck erfundenen Feind. Jene sind gerettet, diese verdammt (...) Die Bösen (...) liefern den Schein eines Rechtsgrundes dafür, daß man die eigenen sadistischen Instinkte, im Namen der gebührenden Strafe, auf die jeweiligen Opfer losläßt

Die sadistische Freude an den Höllenqualen der Ungläubigen, seit Augustin ein so kritisches wie konstitutives Element der christlichen Geschichte und Gefühlswelt, zieht sich als roter Faden durch die bibeltreue Welt. Und wie bei den Nazis ist in der fundamentalistischen Christenwelt der Feind, um den sich zwanghaft alles dreht, natürlich der Jude. (Er ist es gerade dann auch, wenn Israel in den christlichen Heilsplan integriert wird.)

Und dann (3.) die

Behauptung, der Agitator, der es doch stets mit einer mächtigen Clique halten möchte und sich ihr als zuverlässiger Büttel empfiehlt, stehe ganz allein, bedroht, verfemt, auf nichts gestützt, als auf die eigene Kraft.

... oder im Falle der Fundamentalisten eben auf die Kraft Gottes. Man muss nur das Gejammer über Dekadenz und Sittenverfall hören, um den rhetorischen Kniff zu kapieren, mit dem eine Gemeinschaft der Verfolgten geformt werden soll. Dass diese Minderheit auch in Deutschland gar nicht so klein, zumindest aber nicht so arm und machtlos ist, wie sie sich darstellt, um das zu erkennen reicht ein Blick in die auch finanziell gut ausgestatteten christlich-fundamentalistischen Netzwerke.

Quelle: Prophets of Deceit, Studies in Prejudice Series, Volume 5. Leo Lowenthal and Norbert Guterman, Harper & Brothers, Copyright American Jewish Committee, 1949.

Alle Zitate aus Theodor W. Adorno: Vorurteil und Charakter. In: Soziologische Schriften II.2. Adorno stellt in diesem gemeinsam mit Max Horkheimer geschriebenen Bericht die fünfbändige Buchreihe Studien über Vorurteil vor, zu denen die Arbeit Löwenthals wie auch die über den autoritären Charakter gehört.

3 Kommentare

at wiedergeborene Christen 11/18/12 4:18am

#130 sollte doch dieser Tage auch hier nicht der Hinweis auf "Freund" Xavier fehlen! während sich ein weiteres Entzündungsthema , welches sich der Fundamentalismus auch unter den Nagel reißen wollte, eigentlich frei von Ideologie diskutiert werden könnte, da weder links noch rechts einen "wahren" Begründungszusammenhang liefern. Denn der läge ganz woanders. http://www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M5dc38039666.0.html

Nichtmehrwählerin 11/13/12 4:21am

#252 Das christliche Problem scheint wohl ein sehr viel größeres zu sein als nur auf Fundamentalismus beschränkt. Man kann sich gererell fragen, ob man mit Lügenpack Freundschaft wollte?! Mit geldgierigen Mormonen? Mit auf Freimaurerfundamenten Aufgetürmten? Mit den Plag-en katholischer Bierzelte? Oder mit den grünen Neo"lieberalen"? http://www.nachdenkseiten.de/?p=15059 Hat sich wohl von selbst erledigt!

Evangelikalismusflüchtling 11/11/12 6:38am

#36 schlimm war es von dieser Gewalt verfolgt und emotional erpresst zu werden es gibt so gut wie keine Begleiter hinaus aus dieser Falle, aßer die GESUNDEN REBELLIERENDEN ANTEILE in sich SELBST! Hilfreich für mich, die ich diese Denke und Ideologie nicht mit der Muttermilch eingesaugt hatte aber auch nie eine Sekunde der Bekehrung vorweisen könnte , waren interreligiöse Forschungen oder Arbeiten (Vorträge Bad Boll) wie jene von Norbert Kunze, Paarberatung Reutlingen um die letzten Partikel einer kahlschlagenden "Fremd-Infizierung" unschädlich zu machen und DAS EIGENE wieder zu ehren und wachsen zu lassen.

Kommentar schreiben

Zur Desorientierung