Lokalpolitische Übungen in Geschichtspolitik sind zunächst und zumeist peinlich und dem kritischen Gedanken selten zugänglich, das hat in Hohen Neuendorf die Diskussion um Ernst Thälmann gezeigt, in der bewusst jedes Argument jenseits der üblichen Textbausteine vermieden wurde.
Und genau so scheint jetzt der Glienicker Gemeindevorsteher Beyer einfach nur überfordert, wenn er, statt Baumschutzsatzungen und Friedhofsgebühren zu diskutieren, zu einer Lektion in Sachen Totalitarismus ausholt und die Kommunisten der Weimarer Republik als Wegbereiter des Nationalsozialismus denunziert - ausgerechnet bei der Ehrung des kommunistischen Widerstandskämpfers Karl Neuhof.
Aber die Rede war ja vorbeitet, der Eklat also kalkuliert, die Gedankenlosigkeit, mit der gerade auf einer Gedenkveranstaltung die Gefühle von Anwesenden (von ihrer Intelligenz zu schweigen) mit Füßen getreten wurden. So verließ noch während der Rede Peter Neuhof, der Sohn des Geehrten, unter Protest die Veranstaltung, weitere Gäste folgten seinem Beispiel.
Zwei gewaltbereite politische Bewegungen und ihre Schlägertrupps, die Kommunisten und die Nationalsozialisten, ansonsten spinnefeind, waren sich in diesem Ziel einig: die parlamentarische Demokratie zu vernichten
Geschichtliche Ereignissen seien nicht selbstverständlich, so Beyer. Und in der Tat haben wir es in der Rede mit einer Form aktiver und durchaus selbstbewusster Geschichtsklitterung zu tun, die sich des Märchens vom linken wie rechten Extremismus bedient, um das Weimarer Bürgertum (das ist der Mythos der deutschen Mitte
) zum Opfer der Verhältnisse zu stilisieren. Da wird über eine freiheitlich-demokratische Weimarer Verfassung phantasiert und vom Ausnahmezustand kein Wort gesagt, da wird über eine schweigende Mehrheit phantasiert, die schließlich am fatalen 30. Januar
eingeschüchtert von der Gewalt der Straße zum Opfer totalitärer Rattenfänger
geworden sei.
Wenn Beyer die große Hannah Arendt
zitiert, deren vor der Erfahrung des Jerusalemer Eichmann-Prozesses gewonnener Begriff von der Banalität des Bösen mittlerweile zum völlig sinnfreien Versatzstück historischer Sonntagsreden geworden ist, dann ist nur eines klar: er hat keinen einzigen Satz von Arendt je gelesen, erst Recht nicht gedacht. Die Gedenkkultur
, die Erinnerungskultur
, von der Meyer spricht, ist besinnungslos, eine ohne Denken.
Dieses Fehlen des Denkens - eine durchaus normale Erfahrung im Alltagsleben, wo wir kaum die Zeit haben, innezuhalten und nachzudenken - rief mein Interesse wach. Ist böses Handeln (Unterlassungs- wie auch Begehungssünden) möglich, wenn nicht nur »niedrige Motive« (wie es im Rechtswesen heißt) fehlen, sondern überhaupt jedes Motiv, jede spezielle Aktivität des Interesses oder Wollens? Ist Bosheit, wie immer man sie definieren möge, ist dieser »Wille zum Bösen« vielleicht keine notwendige Bedingung des bösen Handelns? (Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem)
Simuliertes Bürgertum
Der Vorfall zeigt, wie sehr bürgerliche Formen, die einmal auf Bildung und Reflexionsfähigkeit bauten, heute auf den Hund gekommen und selten mehr als bloße Attitüden sind, darin dem verachteten anti-bürgerlichen Gestus zum Verwechseln ähnlich.
So erzählt Beyer an anderer Stelle, was ihm am Bürgertum hanseatischer Prägung behagt:
Dazu gehöre auch, "nicht im Schlabberlook, sondern mit Schlips und Krawatte" aufzutreten. Und dazu gehört wohl auch die Wahl des richtigen Fußballvereins. Martin Beyer wuchs zwar in St. Pauli auf und spielte ein Jahr als Torwart für den Kiez-Klub. Doch das Auftreten des dezidiert "linken" Vereins und seiner Fans mit den berühmten Piratenflaggen, das behagt dem bürgerlichen Beyer nicht besonders. Deswegen der HSV. (Quelle: Glienickes Gemeindevorsteher Martin Beyer feierte 70. Geburtstag
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