Ein durchaus unterstützenswerter Aufruf, in dem die Hohen Neuendorfer SPD die Bürgerbeteiligung für sich entdeckt, offenbart nebenbei auch wie die Sozialdemokratie sich den Fortschritt vorstellt.
Ausgeplaudert wird vermutlich ganz unabsichtlich die ganze Misere eines leeren und geschichtslosen Zeit- und Fortschrittsbegriffs.
Bürgerbeteiligung diene vor allem, so der Aufruf, zur Beschleunigung, sie solle mehr mehr Tempo und Dynamik in den Entscheidungsprozess
bringen. Aber warum eigentlich? Beteiligung kostet Zeit und demokratische Prozesse durch Gewinn an Effizienz zu legitimieren, ist nicht nur ein falscher Ansatz, sondern bringt ein Kriterium ins Spiel, das ganz leicht auch gegen Demokratie gewendet werden kann und in letzter Zeit ja auch gewendet wird: Hört bloß auf zu diskutieren, es muss jetzt schnell entschieden werden.
Wie die Zukunft
aussieht, das sei ganz egal, die Hauptsache, es passiere überhaupt etwas. Gegen den angeblichen Stillstand wird Bewegung um jeden Preis gefordert, es soll entschieden werden, was in der Sache entschieden wird, ist ganz egal.
(Und leider verliert der Aufruf auch dadurch an Substanz, dass er als bloße Attacke auf den Hohen Neuendorfer Bürgermeister und dessen angebliche Verhinderungspolitik
inszeniert wird. Gegen diese sollen die Bürger jetzt im Namen von Tempo und Effizienz mobilisiert werden. Futuristische Randale ist der Zwillingsbruder des Technokraten.)
Es ist aber durchaus ein Unterschied, ob es zu einem Neu- , Um- , Anbau des Rathauses
des Rathauses kommt. Und nicht jede Lösung wird, wie der Aufruf unterstellt, ein Fortschritt
sein. Im Gegenteil: der von der SPD favorisierte Neubau hat den Abriss des bestehenden Rathauses zur Voraussetzung - und egal wie schnell und effizient die Entscheidung herbeigeführt wird, ein Neubau wäre ein trauriges Zeichen mangelnden (architektur-)historischen Respekts und Hohen Neuendorfer Geschichtsvergessenheit.
Die dialektische (also notwendige) Kehrseite eines solchen Fortschrittsbegriffs, der Fortschritt nur mehr als bloße technische Machbarkeit identifizieren kann und über keine inhaltlichen Kriterien mehr verfügt, hat der Brandenburger Ministerpräsident in seiner Verteidigung des Flughafens BER deutlich gemacht: Fortschritt sei, wenn es dröhnt und stinkt. Man erkenne den Fortschritt also daran, dass es weh tut und dass zuletzt (Menschen-)Opfer gebracht werden müssen.
Die SPD steckt, zeigt das, ganz tief in der Faszinationsgeschichte des 19. Jahrhunderts fest. Aber die qualmenden Schornsteine garantieren längst keine soziale Emanzipation mehr. Dass Fortschritt sozialer Fortschritt sein muss und sich nur um die Idee der Gerechtigkeit drehen kann, hat die SPD aus ihrem politischen Gedächtnis verdrängt.
(Fraglich, ob unter diesen Voraussetzungen von der SPD Ideen für eine Gartenbstadt Hohen Neuendorf erwartet werden können.)
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